Wasserstoff und die neue G 260 – Wirkung auf Mess- und Abrechnungsthemen

Das DVGW-Arbeitsblatt G 260 beschreibt die Anforderungen an die Beschaffenheit von Brenngasen in der öffentlichen Gasversorgung. Seit 1939 werden darin Rahmenbedingungen für eine komplette Wertschöpfung definiert. Von der Lieferung über den Transport bis hin zur Verteilung und Anwendung werden wichtige technische Parameter auf nationaler Ebene festgelegt. 

Im September 2021 wurde eine neue überarbeitete Version veröffentlicht. Mittlerweile ist es die neunte Ausgabe einer Richtlinie für die Beschaffenheit von Gasen.  

Damit reagierte der DVGW auf die Forderungen von der Industrie und der Politik nacheiner stärkeren Berücksichtigung von Wasserstoff in der Gasversorgung. In der angepassten G260 wird nunmehr Wasserstoff als eigene Gasfamilie auf nationaler Ebene anerkannt. Zudem wurden einige weitere erneuerbare Gase in die Gruppe der methanreichen Gase aufgenommen. Welche genau das sind und welche weiteren wichtige Neuerungen in der G 260 festgelegt wurden, können Sie in diesem Beitrag lesen. 

Wasserstoff als 5. Gasfamilie der öffentlichen Gasversorgung 

Mit der Überarbeitung der G 260 wurde ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer leitungsgebundenen Versorgung mit Wasserstoff erreicht. So wird Wasserstoff künftig nicht nur als Zusatzgas für die Einspeisung ins Erdgasnetz definiert, sondern darüber hinaus als Grundgas der öffentlichen Versorgungsgebiete beschrieben.  

Beimischung – Wasserstoff im Erdgasnetz 

Künftig sind H2-Zumischraten größer 10 Vol.-% möglich. Die G 260 schreibt keine Grenzwerte mehr fest; es müssen jedoch für den Anwender relevante brenntechnische Kenndaten eingehalten werden. Diese sind durch den entsprechenden Netzbetreiber in Abstimmung mit den angeschlossenen Kunden zu definieren und zu bewerten.  

Im Rahmen der Untersuchung müssen nicht nur die Rohrleitungen als solche, sondern sämtliche angeschlossene Messgeräte sowie nachgeschaltete Anlagen und Gasanwendungen für solche Wasserstoffgehalte geprüft und ihre Eignung nachgewiesen werden.  

Reine Wasserstoffnetze – Wasserstoff als Grundgas 

Speziell für den Hochlauf von reinen Wasserstoffnetzen wurde die neue Gasfamilie 5 eingeführt. Grundsätzlich wird darin zwischen zwei wesentlichen Reinheitsklassen unterschieden:  

  1. Gruppe A: Stoffanteil H2 >= 98 mol-% mit Nebenbestandteilen der 2. Gasfamilie für umgestellte Leitungen 
  1. Gruppe D: Stoffanteil H2 >= 99,97 mol-% nach DIN EN 17124 für den Einsatz in Brennstoffzellen 

Der Netzbetreiber wird gefordert sein, sich für eine Reinheitsklasse zu entscheiden. Ausschlaggebend dafür können wirtschaftliche Gesichtspunkte, Anforderungen „sensibler Endanwender“ oder auch die Art der angeschlossenen Wasserstoff-Erzeugungstechnologien sein. 

Das Regelwerk sieht darüber hinaus gemäß ISO 14687:2019 weitere Grenzwerte für sonstige Gasbestandteile und Begleitstoffe vor. 

Warum die Reinheit entscheidend ist!  

Die Qualität von in Ferngasleitungen transportiertem Wasserstoff orientiert sich an Gruppe A der neuen 5. Gasfamilie. Diese Qualität ist für den Großteil der Wasserstoffanwendungen als Reduktionsmittel, z. B. in der Stahlproduktion, bzw. als Brennstoff, z. B. in der Erzeugung von Prozesswärme, ausreichend und berücksichtigt mögliche, zu Beginn noch in umgestellten Erdgasleitungen befindliche Kohlenwasserstoffe. Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wasserstoffqualität von diesen Reststoffen nur geringfügig beeinträchtigt wird. 

Die Wasserstoffqualitäten unterscheiden sich je nach Produktionsverfahren. So kann durch die Elektrolyse die höchste Reinheit realisiert werden, da dabei naturgemäß nur die im Wasser gelösten Begleitgase übertreten können. Für die Pyrolyse und die Dampfreformierung wird hingegen Erdgas benötigt. Dadurch können bspw. verschiedene Kohlenwasserstoffe enthalten sein, welche für Anwendungen in Brennstoffzellen oder auch stoffliche Anwendungen wie der Pharmazie grundsätzlich ungeeignet sind. In diesem Fall müsste man mit Membranen oder Druckwechselabsorptionsanlagen arbeiten, um das Gas entsprechend aufzubereiten.  

Eine Übersicht über mögliche Erzeugungs- und Anwendungsfälle gibt die folgende Abbildung des nationalen Wasserstoffrates: 

Quelle: Wasserstofftransport (wasserstoffrat.de)

Zusammenführung der DVGW-Arbeitsblätter G 260 & G 262  

Die neue G 260 ersetzt nicht nur die veraltete Version der G 260, sondern integriert darüber hinaus die G 262, die zuvor die Nutzung von Gasen aus regenerativen Quellen in der öffentlichen Gasversorgung beschrieben hatte. Dazu zählten erneuerbare Gase wie Biomethan und synthetisches Methan (SNG). 

Durch die Integration dieser Gase in die 2. Gasfamilie der methanreichen Gase wird das Arbeitsblatt selbst jedoch hinfällig und deswegen in seiner bestehenden Form zurückgezogen.  

Insofern sämtliche brenntechnische Kenndaten eingehalten werden, fallen Wasserstoffeinspeisungen ebenso in die Gruppe methanreicher Gase und somit in die 2. Gasfamilie.  

Durch die Integration der erneuerbaren Gase wurde zudem der Begriff „Netzzelle“ in die Norm mit aufgenommen. Damit wird ein definierter Teil des Verteilnetzes beschrieben, in dem eingespeiste erneuerbare Gase vollständig verbraucht werden, sodass eine Überspeisung in nachgelagerte Netze nicht notwendig ist. Das ist insbesondere dann notwendig, wenn das eingespeiste Gas nicht allen Anforderungen an Gase der jeweiligen Gasfamilie entspricht.  

Wasserstoff – Auswirkung auf die Messtechnik  

Die Anforderungen an Gasmessgeräte werden momentan intensiv geprüft und sind in der PTB TR G 19 beschrieben. Darüber hinaus werden diese und andere Komponenten im H2-Kompendium für Verteilnetzbetreiber (VNB) und Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) für verschiedene Geräte und Wasserstoffanteile zusammengefasst. 

Sowohl Hersteller als auch die Physikalisch Technische Bundesanstalt ( PTB)  geben je nach prozentualen Wasserstoff-Anteil für vorhandene Gaszähler Herstellererklärungen bzw. Unbedenklichkeitserklärungen für den möglichen Einsatz ab. Stand der Technik bei Gasbeschaffenheitsmessgeräten sind derzeit Prozessgaschromatografen, die Wasserstoff mit bis zu 20 Vol.-% im Erdgas eichrechtskonform messen können.

Überarbeitung der G 685  

Auch die G 685, die die Ermittlung der Energiemenge für Gas beschreibt, wenn sie nicht direkt von einem Messgerät bestimmt wird, wurde erst vor einem Jahr überarbeitet. Aktuell wird die Norm um die Anforderungen, die sich aus der Zumischung von Wasserstoff zum Erdgas oder Wasserstoff als Grundgas ergibt, überarbeitet.  

Teil 2 beschreibt die Ermittlung des Abrechnungsbrennwertes. Die größte Herausforderung ist die Ermittlung des Abrechnungsbrennwertes für Letztverbraucher, wenn Wasserstoff an lokalen Standorten dem Erdgas zugemischt wird. 

Teil 6 beschreibt, wie die Kompressibilität des Gases entsprechend den hohen Anforderungen an die Genauigkeit berücksichtigt werden kann. Absehbar ist die Definition neuer MKV-Parameter im Mengenumwerter in Abhängigkeit von Druck und Wasserstoff-Anteil im Gas, die Einführung eines modifizierten K-Zahl-Verfahrens nach S-GERG 88 und eine breitere Anwendung von AGA8 für Wasserstoff oder Gasgemische bei höheren Drücken. Mit einem Gelbdruck ist Ende 2020 zu rechnen. 

Mit der Überarbeitung der G 260 und der Berücksichtigung von Wasserstoff im Erdgas sowie als eigenes Grundgas ist die Grundlage für weitere Anpassungen des DVGW-Regelwerkes geschaffen worden. Weitere Fragestellungen in Bezug auf Messung und Abrechnung werden beim DVGW aktiv vorangetrieben. Damit bekommen Produzenten, Hersteller, Netzbetreiber und Anwender langfristige Planungssicherheit. 

INFRACON ist mit der Berechnung der K-Zahl nach AGA8 bereits heute und demnächst mit dem modifizierten Verfahren nach S-GERG auf Änderungen im Regelwerk eingestellt.  

Tobias Wiegleb

ONTRAS Gastransport GmbH
Leiter Transportabrechnung / Energiedatenmanagement

Sie wünschen mehr Informationen? Sprechen Sie uns an.

Ansprechpartner

Marek Preißner

Leiter Kundenmanagement
Ihnen hat der Beitrag gefallen? Hier können Sie ihn teilen